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Schanzenrekord: 35 Meter

Von Walter Kleber (Text) und Christoph Pöpperl (Bilder)

Als die Winter auch im schwäbischen Voralpenland noch richtige Winter und Begriffe wie Erderwärmung und Klimawandel noch nicht erfunden waren, machte das kleine Staudendorf Siegertshofen mit einem ungewöhnlichen Wintersportprojekt von sich reden: die Mitglieder des 1956 gegründeten Skiclubs schickten sich unter ihrem rührigen Vorsitzenden Karl Weitzel Mitte der 1960er Jahre an, eine eigene Skisprungschanze zu bauen. Ein ehrgeiziges Projekt für den jungen, damals nur knapp 60 Mitglieder zählenden Verein. Vor 50 Jahren, im Februar 1966, wurde die Anlage errichtet. 16 Kubikmeter Rundholz, 20 Kubikmeter Beton und jede Menge Armierungsstahl wurden – größtenteils in Eigenleistung – für den zwölf Meter hohen Anlaufturm verbaut. Der Höhenunterschied vom höchsten Punkt der Holzkonstruktion bis zur Auslaufsohle betrug 37 Meter – bei einem Neigungswinkel von 37 Grad. 

Der Sprungturm mit seinen drei Auslaufluken erlaubte eine Geschwindigkeit von 17 Metern pro Sekunde. Geübte Springer erreichten so Weiten von bis zu 35 Metern. Doch weil vor 50 Jahren der Winter ähnlich schneearm ausgefallen war wie heuer, musste das Eröffnungsspringen schweren Herzens auf das kommende Jahr verschoben werden. Am 22. Januar 1967 weihte der damalige Siegertshofener Ortspfarrer, Kämmerer Josef Danner, die neue Skischanze feierlich ein. Am gleichen Tag fand vor hunderten begeisterter Zuschauer dann endlich das erste „richtige“ Skispringen von der neuen Schanze statt. Als Stargast war mit dem Oberstdorfer Max Bolkart der vielfache deutsche Skisprungmeister, Olympiateilnehmer und Gewinner der Vierschanzentournee von 1960 zum Eröffnungsspringen nach Siegertshofen gekommen.

Viele Zuschauer verfolgten am Sonntagnachmittag die Skispringen in Siegertshofen.

Von dem einstigen Wahrzeichen des heutigen Fischacher Ortsteils am Leutenberg, einem steilen Hang am südlichen Ortsrand, ist heute freilich nichts mehr zu sehen. Wegen Schneemangel kam das Skispringen auf der Siegertshofener Schanze nach und nach zum Erliegen. 1990 wurde die inzwischen morsche Holzkonstruktion abgerissen. Dabei hatte der nordische Wintersport in den Anfangsjahren des Skiclubs für einen regelrechten Boom in den Stauden gesorgt. Zahlreiche Zuschauer verfolgten am Sonntagnachmittag regelmäßig die Wettkämpfe der mutigen Skispringer. Vor dem Bau der Schanze diente zunächst ein aufgeschütteter Schneehaufen mit einem Stangengerüst als improvisierte Schanze. Ein erster massiverer Turm wurde dann 1957 errichtet. Er erlaubte schon Weiten bis 25 Meter.

Skizze 1966 von Max Gattinger
Der Höhenunterschied vom höchsten Punkt der Holzkonstruktion bis zur Auslaufsohle betrug 37 Meter.

Nach Plänen des erfolgreichen Skispringers und weltweit tätigen Schanzenarchitekten Heini Klopfer (Oberstdorf) bauten die Siegertshofener „Flachland-Adler“ 1966 dann ihre neue Schanze. Schlagartig gewann der wagemutige Sport immer mehr an Popularität. Alljährlich wurden mehrere Wettbewerbe und Vereinsmeisterschaften ausgetragen. Zu den Schwäbischen Flachlandmeisterschaften kamen bis zu 800 begeisterte Zuschauer in das kleine Staudendorf Siegertshofen. 1973 wurde das letzte Springen am Leutenberg ausgetragen. Schneearme Winter hatten nach und nach das Aus des einst so beliebten Wintersportvergnügens besiegelt. 

Den Skiclub freilich gibt es in Siegertshofen immer noch. Schon kurz nach der Vereinsgründung war nämlich beschlossen worden, die Vereinsaktivitäten nicht ausschließlich auf die unsicheren Schneeverhältnisse immer milderer Winter zu focussieren, sondern zusätzlich eine Sportart ins Vereinsprogramm aufzunehmen, die sportliche Aktivitäten auch während der Sommermonate erlaubt. Auf Initiative des damaligen Lehrers Georg Mayer wurde deshalb schon 1958 eine Tischtennisabteilung ins Leben gerufen, die heute mit mehreren Mannschaften erfolgreich im überregionalen Wettbewerb steht.

Text: Walter Kleber
Bilder: Kurt Matiaske / Christoph Pöpperl (Reproduktion)